10 Grundsätze für einen gelungenen Distanzunterricht (Sek II)

10 Grundsätze für einen gelungenen Distanzunterricht (Sek II)

10 Grundsätze für einen gelungenen Distanzunterricht (Sek II)

1. Lernzeit intensiv nutzen

Die Lernzeit aktiv zu nutzen gelingt im Distanzunterricht durch die Tücken der Technik nicht immer wie gewünscht. Es gilt demnach, für die Ausgangsbedingungen [1] sehr genau die eigenen Medienkompetenzen als auch die der Schüler*innen abzuklopfen.

Die technischen Möglichkeiten sind ebenfalls sorgfältig zu analysieren. Dazu zählen die Internetanbindung, vorhandene Endgeräte, eingesetzte Software sowie die räumliche Umgebung. Ergebnis dieser Analyse ist bislang: Es dauert länger! Selbst bei bester Vorbereitung bleibt die Nutzung der Lernzeit bislang eine große Herausforderung. Eine Lösung bietet das asynchrone Lernen. Materialien, die für leistungsschwächere Schüler*innen zur Vorbereitung eher zugänglich gemacht werden oder Aufgaben, die losgelöst von der Unterrichtszeit bearbeitet werden können, lassen Spielräume für individuelles Lernen.

2. Digitales Ungleichgewicht abbauen

Damit Distanzunterricht der Bildungsschere entgegenwirken kann, braucht es endlich digitale Endgeräte für diejenigen, die bislang nicht mit einem Laptop oder Tablet arbeiten können. Zudem fehlt es an räumlichen Möglichkeiten (Platz, Ruhe, WLAN), wo diese Schüler*innen gleichfalls Hilfe und Unterstützung erfahren. Hierfür sollten in allen Schulen und z.B. in öffentlichen Bibliotheken Möglichkeiten geschaffen werden, damit Chancengleichheit nicht nur eine Worthülse bleibt. Bis es soweit ist, müssen wir Lehrkräfte auf die unterschiedlichen Voraussetzungen Rücksicht nehmen, indem wir z.B. unsere Arbeitsblätter mit einem pdf-Editor, z.B. sejda, in Formulare konvertieren und so für die Bearbeitung mit einem Smartphone zur Verfügung stellen.

3. Aktivität der Schüler*innen gezielt fördern und einfordern

Den Schüler*innen fällt es im Distanzunterricht leicht, sich absichtlich oder unabsichtlich zu verstecken – gerade, weil die für uns Lehrkräfte aus datenschutzrechtlichen Gründen empfohlene Videokonferenztools wegen fehlender technischer Features die Privatsphäre der Schüler*innen nicht schützen. Den Kameraeinsatz können wir somit nicht verlangen, ganz abgesehen davon, dass Datenleitung sowie Serverleistung den Kameraeinsatz oftmals begrenzen.

Es gilt also, immer wieder für die Schüler*innen Sprech- und Beteiligungsanlässe zu schaffen und diese einzufordern. Das geht über geteilte Notizen, Umfragen per Touch, kollaborative Tafeln [zumpad, board, flinga, padlet, …] und Tabellen [z.B. ethercalc, …] oder auch mal das leidige L-S-Gespräch.

4. Phasen eher öfter als im Präsenzunterricht wechseln

Distanzunterricht wird den Schüler*innen schnell langweilig. Es fehlt einfach die nonverbale und indirekte Kommunikation. Ohne die kleinen unterhaltsamen Episoden, die uns zum Lachen bringen und Schule zu dem machen, was sie ist, wirkt Online-Unterricht oft langweilig und eintönig.  Mit eingeübten Videokonferenztools sind Phasenwechsel gut und schnell mit einer veränderten Sozialform zu erreichen.

Durch sogenannte Breakoutrooms lässt sich die Aktivität der Schüler*innen Kleingruppen gezielt fördern. Es muss dennoch immer wieder Ansprache und Hilfestellung durch die Lehrkraft erfolgen. Gerade die Heterogenität der medialen Kompetenzen innerhalb der Lerngruppe führt in Gruppenprozessen ohne eine präzise Antizipation des Medieneinsatzes [2] zu Frust und Leerlauf.

5. Bewertungsmöglichkeiten nutzen

Mittels der Lernmanagementsysteme können Schüler*innen ihre Aufgaben abgeben, die der anderen kommentieren oder eine Bewertung vornehmen. Moodle bietet zum Beispiel hier viele Möglichkeiten für eine Bewertung an, ob nun über eine Prozentzahl, oder ein kriteriengeleitetes mündliches oder schriftliches Feedback bis hin zu einer Videobotschaft. Diese Rückmeldungsoptionen für die von den Schülerinnen geleistete Arbeit schafft für uns Lehrkräfte eine elegante Mischung aus Kontrolle und Wertschätzung und somit eine gute Möglichkeit, die Lernbereitschaft der Schüler*innen zu steigern.

6. Das 4-Ohren- und -Augen-Gespräch entspannt führen

Nahezu den größten Vorteil bietet uns – befreit von der Aufsichtspflicht – die Möglichkeit, mit Schüler*innen im geschützten Raum allein zu sprechen. Dieses kann zur Leistungsstandbeurteilung genutzt werden, aber auch für andere Themen, die bei den Lernenden gerade oben aufliegen. Für diese Einzelgespräche empfehle ich die Lektüre Manfred Prior: MiniMax für Lehrer.

7. Verantwortung auf die Lerngruppe übertragen

Eine Videokonferenz zu moderieren ist anstrengend. Schülerinnen und Schüler, die bereits vertraut mit den Gepflogenheiten eines virtuellen Unterrichts sind, können Aufgaben und somit Verantwortung für den Lernprozess übernehmen. Technische Einstellungen lassen z.B. zu, dass Klassensprecher*innen Konferenzräume sowie Gruppenräume selbstständig öffnen und schließen.  Schüler*innen, die über adäquate Endgeräte verfügen, dokumentieren und sichern Gesprächsbeiträge oder Ergebnisse in Chats oder im Notizenbereich sowie in der Dateiablage des Lernmanagementsystems [Moodle, IServ, MS-Teams].

Gleichwohl ist wie im Präsenzunterricht darauf zu achten, dass Beteiligungsanlässe für die weniger leistungsstarken Schüler*innen ausreichend eingeplant werden. Das Feature Bildschirm teilen ist eine sehr wesentliche Funktion für den Distanzunterricht. Noch ist sie allerdings zu sperrig, bzw. nicht barrierefrei von Tablets und Smartphones zu bedienen.

8. Für einen transparenten Unterrichtsverlauf sorgen

Dieses von jeher wichtige Kriterium gewinnt im Distanzunterricht noch mehr an Bedeutung. Das eben mal zum Nachbarn Herüberbeugen und Fragen „Wo sind wir gerade? Was hat sie gefragt?“ entfällt. Orientierung bietet daher nur ein visualisierter Fahrplan für die Unterrichtsstunde. Dieser kann auf unterschiedliche Weise für die Lernenden zugänglich gemacht werden. Für leistungsschwächere Schüler*innen ist die zusätzliche Bereitstellung in Form einer Datei, auf die die Schüler*innen unabhängig vom Bildschirmgeschehen Zugang haben, zu empfehlen. Bewährt hat sich für Homeschooling (ohne Moderation der Lehrkraft) eine Bildschirmaufnahme, z.B. per screencast, in der die Ablaufe und die Arbeitsaufträge mit Bild und Ton hinterlegt sind. Die Schüler*innen können immer wieder auf die entsprechend Stelle „zurückspulen“ und erhalten eine persönliche und ihrem Arbeitstempo entsprechende Erklärung und Erläuterung. Für größere Lernsituationen eignet sich auch eine sogenannte Kanbantafel, für bereits einige gute Apps auf dem Markt sind.

9. Tools und Apps kreativ einsetzen

Es hat sich viel getan im Bereich der digitalen Lernlandschaft. Angefangen mit Quiz & Co. haben wir mittlerweile lernwirksame Tools, die ein gemeinsames Arbeiten an einem Handlungsergebnis ermöglichen. Diesen riesigen Vorteil für handlungsproduktives Lernen müssen wir nutzen. Die Schulen sollten hier in Absprache mit ihren Medienbeauftragten den Lehrkräften gängige Accounts zur unentgeltlichen Nutzung zur Verfügung stellen. Die Kostenlos-Versionen reichen oft für einen Einblick, aber sind dann in Nutzungsmenge [z.B. padlet] und Feature-Auswahl [z.B. miro] oft eingeschränkt.

10. Mit und von den Schüler*innen lernen

Die Entwicklungen sind schnell, wir Lehrkräfte müssen uns agil anpassen. Das Axiom „erst werde ich zum Experten, dann die Schüler*innen“ kann nicht mehr gelten. Ich lerne jeden Tag von meinen Schüler*innen und Referendarinnen dazu. „Ich bin Lehrer*in — ich kann das“ war gestern. So wird es nie wieder sein. „Ich bin Lehrer*in – ich kann das können – aber auch ich brauche meine Zeit“ wird wohl die neue Maxime.

Vor dem Hintergrund, dass die Vorbereitung für den Distanzunterricht zeitaufwendiger und häufig komplexer ist, wünsche ich uns allen frohen Mut und viel Kollegialität beim Teilen und beim gegenseitigen Unterstützen.


[1] IT-Kompetenzen, Kommunikative Kompetenzen, z.B. im Rahmen von Video- und Audiokonferenzen, Methodenkompetenz, z. B. für die Erstellung von digitalen Handlungsergebnissen, Leistungsvermögen und Leistungsmöglichkeiten der Schüler*innen im Distanzunterricht.

[2] Ein direkter Zusammenhang der benötigten und zu fördernden Medienkompetenzen mit dem inhaltlichen/fachlichen Unterrichtsgegenstand muss vorhanden sein. Die Aufgabenstellung muss adressatengerecht konzipiert sein, dabei Raum für Einigungsprozesse und Problemlösungen lassen.